Es geht bergauf. Wortwörtlich. Flo würde hier gerne zusätzlich das Wort „topographisch“ und andere blumige Adjektive verwenden. Jemand war dagegen. Jetzt steht es trotzdem da. Es geht also bergauf. Um genau zu sein 1700 Meter an einem Tag, und das größtenteils auf Stufen. Gefühlt besteigen wir 21,25-mal die Schloßbergstufen in Graz – hört sich gar nicht so viel an, aber jetzt haben wir es schon ungefähr geschätzt und es war anstrengend. Die Aussicht ist wie immer großartig – eine weitere Parallele zum Schloßberg. Das Wetter ist schwül und heiß, was uns noch zusätzlich zum Schwitzen bringt. Als wir zu Mittag hungrig werden, gibt es plötzlich mal wieder keine Restaurants mehr, damit hätten wir nach den letzten Tagen eigentlich schon rechnen können. Haben wir aber nicht. Nachmittags zieht es zu und wir sehen erstmals am Trek Wolken. Richtig gelesen: Wolken! Außerdem sehen wir zum ersten Mal eine Porterin und ja, sie trägt gleich viel wie ihre männlichen Kollegen. Als wir schon fast in Ghorepani angekommen sind bekommen wir endlich unseren Mittags-Veg Fried Rice. Eine Stunde später beziehen wir ein Zimmer im höchsten Stock des Guesthouses, das nur über eine Terrasse erreichbar ist und fühlen uns wie in einem Adlerhorst. Das i-Tüpfelchen: wir können vom Bett aus zwei 8000er sehen – Dhaulagiri und Annapurna I. In der Nacht wird Bettina von einem kleinen Erdbeben geweckt, aber der Adlerhorst ist stabiler gebaut als er aussieht und stürzt nicht in sich zusammen. Flo war zu wenig feinfühlig und hat dieses Event verschlafen.
Am nächsten Tag heißt es für uns früh aufstehen. Wir wollen nämlich, wie alle anderen in Ghorepani, den Sonnenaufgang am Poon Hill sehen. Die umliegenden Berge sind in der aufkommenden Morgenröte wunderschön. Doch dann ziehen sie wieder auf, diese Wolken. Macht nix, wir waren früh genug dran um noch einen Blick auf den wohl schönsten aller Berge zu erhaschen – den Machapucharé. Er wird wegen seines unaussprechlichen Namens von den meisten einfach nur Fishtail genannt. So schaut er auch aus und es ist Liebe auf den ersten Blick. Einigen Spätaufstehern ist der Blick nicht mehr vergönnt und sie starren mit ihren kleinwagenschweren Superzoomobjektiven enttäuscht auf eine Wolkenwand. Am Gipfel des Poon Hill wird um uns herum sehr viel Deutsch gesprochen. Dadurch werden wir unfreiwillig Ohrenzeugen von einigen äußerst dummen Gesprächen. Die Themengebiete: Traumdeutungen, Wimperntusche und der Kontinentaldrift. Man kann also auch die intelligentesten Themen verdummschwätzen. Um nicht in die Notlage zu kommen an den Gesprächen teilnehmen zu müssen, unterhalten wir uns nur noch auf Dänisch. Leider ist unser Dänisch schon ein bisschen in die Jahre gekommen, deswegen unterhalten wir uns nicht mehr allzu viel, bis wir die Hobbyphilosophen hinter uns lassen.
Auf dem Weg nach Chomrong wird Bettina ausgiebig von einer Kuh abgeschleckt. In einem großteils hinduistischen Land muss man das wohl als Ehre betrachten. Legenden besagen, dass sie ihren Arm aus Respekt bis zum heutigen Tage nicht mehr gewaschen hat. Beim Mittagessen (ja es gibt tatsächlich Mittagessen und es schmeckt ausgezeichnet) hören wir wie ein Guide am Nebentisch seinen Schützlingen die topographischen Details der nächsten Tage näher bringt: „Down, down, up, up, up.“ Alles klar! Bei unserem „Down-down“-Weg kommen wir durch affenbewohnte Dschungel und terrassierte Felder, nur um kurz danach IHN endlich wieder zu sehen. Den Maserati unter den Bergen. Wir reden natürlich vom Fishtail. Um IHM noch näher zu kommen quälen wir uns in der Hitze durch ein ausgiebiges „Up-up-up“-Stück bis zu unserem Tagesziel Chomrong. Wir werden sogar von einem Guide im Guesthouse gelobt, dass wir so weit gegangen sind. Bettina beansprucht wieder die erste Dusche für sich. Das Ergebnis mag dem geneigten Leser bekannt vorkommen: sie duscht kalt bis lauwarm während Flo danach herrlich heiß duscht.
Am Start von Tag 20 geht es mehr bergab als uns lieb ist, uns tut es leid um jeden einzelnen unserer mühsam erklommenen Höhenmeter. Alles natürlich wieder auf Stufen, die teilweise sogar kniehoch sind. Also kniehoch zumindest für Menschen in Bettinas Größe, was in Nepal durchaus dem Durchschnitt entspricht. Trotzdem sind wir recht flott unterwegs, werden aber gelegentlich von Portern in Flipflops mit Gaskartuschen auf dem Rücken überholt. An dieser Stelle müssen wir wirklich mal ein paar Worte über die Porter verlieren! Es ist unglaublich beeindruckend, was sie leisten. Sie tragen meistens drei oder vier zusammengeschnürte Rucksäcke auf einmal, wir bezweifeln stark, dass wir so eine Last überhaupt anheben könnten. Auch sind sie eindeutig die am schlechtesten ausgerüsteten Leute hier. Wanderschuhe hat so gut wie keiner von ihnen an und ihre Jacken machen auf uns einen sehr dünnen Eindruck. Nichtsdestotrotz haben die meisten Porter immer ein freundliches „Namaste“ für uns übrig. Auf diesem Teil des Treks sind besonders viele unterwegs, wir sind so gut wie die Einzigen ohne Guide und Porter.
Aber zurück zum Weg. Wir kommen an einem sehr schönen Wasserfall-Tempel vorbei und haben quasi durchgehend einen perfekten Blick auf SEINE majestätische Gestalt. Dabei lassen wir uns nicht von den Schildern verunsichern, die zu lange Gehzeiten voraussagen und ziehen unser Ziel durch, bis in den Ort Himalaya zu gehen. Pünktlich zu den ersten Regentropfen kommen wir an. Beim Abendessen passiert dann das Undenkbare: Bettina bestellt Daal Bhat und ihr wird nicht schon nach zwei Minuten Nachschlag angeboten. Offensichtlich ein so großer Fauxpas, dass der Chef sich persönlich entschuldigt. Entschuldigung angenommen aber wir hoffen es kommt nicht nochmal vor.
Es ist so weit! Der Gipfelsturm steht an. Zwar nicht ganz auf den Annapurna aber zumindest bis zum Basecamp (ABC). Das impliziert wieder mal einige Höhenmeter für uns. Auf Stufen natürlich. Zu Mittag sind wir bei einsetzendem Schneefall auch schon da, deswegen sehen wir aber leider nix von den Bergen um uns herum. Und es ist kalt. Relativ saukalt! „Man sieht den eigenen Atem im Gebäude“ kalt. Wir sind ja daran gewohnt, dass es im Zimmer kalt ist, aber hier ist auch der Aufenthaltsraum unbeheizt. Da wir schon früh am ABC angekommen sind wird es wegen der zermürbenden Kälte ein sehr langer Nachmittag. Wir ziehen alles an was wir mithaben und trinken literweise Tee. Schlechte Idee: Der Weg zum Klo ist lang und beschwerlich und dort ist es noch kälter. Wir sind nicht die Einzigen die leiden. Ein weitgereister, kultivierter Franzose Ende 60 hüpft vor Kälte wild mit den Armen schlackernd durch den Raum. Ein anderer kann mit seinen dicken Handschuhen kaum den Sudoku Bleistift bedienen. Eine auch unter den Guides verbreitete Strategie die Kälte zu bezwingen ist es große Mengen Khukri (Rum) zu trinken. Einer schlägt dabei ein bisschen über die Stränge, bei seiner Kundschaft durchaus nachvollziehbar. Wir profitieren von der guten Stimmung und es fühlt sich kurz bevor wir schlafen gehen endlich nicht mehr ganz so kalt an. In unseren dicken Schlafsäcken und mit zusätzlichen Decken bringen wir die Nacht einigermaßen warm hinter uns obwohl wir ab und zu von Lawinengedonner aufgeweckt werden.
Mit der Hoffnung auf einen aufgeklarten Himmel schälen wir uns noch in aller Finsternis aus dem Bett und werden mit einem wunderschönen Sternenhimmel belohnt. Dazu kommen noch die beeindruckenden Gipfel von denen wir umringt sind, die nach und nach von der aufgehenden Sonne angestrahlt werden. Wir haben wieder Glück mit dem Wetter und es ist keine einzige Wolke am Himmel die uns die Aussicht versperrt. Kalt ist es trotzdem noch und völlig unerwartet muss Flo noch vor Bettina aufgeben und verkriecht sich nochmal im Schlafsack.
Nach dem Frühstück (im immer noch saukalten Gastraum) können wir uns einfach nicht vom Anblick der 7000er und 8000er um uns herum losreißen. Es fühlt sich total unwirklich an hier zu sein und wir können zum ersten Mal ein bisschen nachvollziehen warum man es sich antut einen 8000er zu besteigen. Aber keine Angst, wir werden keine Reinhold Messners. Wir bleiben noch bis Mittag und genießen, als alle anderen Wanderer schon lang auf dem Weg nach unten sind, immer noch das Panorama. Das coolste? Man hat vom ABC aus auch einen perfekten Blick auf IHN, den bergigsten aller Berge. Fun Fact: ER wurde noch nie bestiegen, denn er ist heilig (nicht nur für uns).
Schweren Herzens treten wir den Rückweg an, denn noch eine Nacht in der Kälte wollen wir uns trotz aller Schönheit der Berge dann doch nicht antun. Im wieder etwas wärmeren Dovan klopft es spät abends an unsere Zimmertür und der Gastgeber steckt uns in allergrößter Heimlichkeit das eigentlich kostenpflichtige WIFI Passwort zu. Sehr süß und vielleicht eine kleine Entschuldigung für die schlechteste Pizza der Welt.
Für unseren letzten Wandertag haben wir ein großes Ziel: die heißen Quellen in Jhinu Danda. Auf dem Weg dorthin heißt es Abschied nehmen. Unser letzter Blick auf den König der Berge. Haben wir eigentlich deutlich gemacht wie cool wir den Fishtail finden? Nach sehr viel „Down-down“ und etwas „Up“, alles auf Stufen natürlich, kommen wir sogar früher als gedacht bei den heißen Quellen an und genießen das warme Wasser so richtig. Am Abend gönnen wir uns ein Abschluss Daal Bhat und es hätte besser nicht sein können. Das Curry ist so lecker, dass wir uns drei Mal nachnehmen. Himalaya wir werden dich vermissen und sicher mal wieder kommen. Aber jetzt ist es erstmal Zeit für uns in wärmere Ecken zu reisen.
Fazit: Wir sind so unendlich froh, dass wir uns für dicke Schlafsäcke entschieden haben. Wir lieben Masala Tee. Noch viel mehr lieben wir den Fishtail! Die nächsten Tage wollen wir ein Zimmer im Erdgeschoss (keine Stufen mehr für uns). Dieses Himalaya-Gebirge kann man sich mal anschauen.