Oder: Von Tigern, Krokodilen und wilden Hühnern

Als wir in Jhinu Danda aufwachen sind wir hin und hergerissen. Einerseits werden wir das Wandern und die Berge vermissen, andererseits freuen wir uns richtig auf wärmeres Wetter. Um zum Bus zu kommen, der uns nach Pokhara bringt, gilt es noch eine allerletzte Hängebrücke zu überwinden. Und die hat es in sich. Es ist quasi die Mutter aller Hängebrücken. Mit ihren 287 Meter ist sie mit Abstand die längste Brücke die wir bis jetzt überqueren mussten. Aber selbst Leute mit akuter Höhenangst werden diese Brücke vermutlich der darauffolgenden Busfahrt vorziehen. Wir wissen gar nicht wo wir anfangen sollen. Bei den gigantischen Schlaglöchern? Bei den schrill quietschenden Busbremsen? Bei den senkrecht abfallenden Felswänden direkt neben der Straße (ohne Leitplanken, versteht sich von selbst)? Wir versuchen angestrengt nicht nach unten zu schauen, vor allem, wenn ein entgegenkommendes Fahrzeug den Bus noch näher an den Abgrund drängt. Da können wir die beiden Spanier gut verstehen, die sich nach dem Aussteigen erleichtert umarmen. Man wird ja schon fast gläubig bei der Fahrt.

In unserer Unterkunft genießen wir eine ausgiebige, heiße Dusche (ja wir duschen tatsächlich BEIDE heiß), bevor wir durch Pokhara spazieren. Die Stadt liegt an einem großen See und bietet eine riesige Auswahl an netten Cafes und Restaurants. Wir essen unter anderem ausgezeichnete Momos und das vielleicht beste Sandwich der Welt (beides übrigens zwei mal weils so lecker war). Und das Wichtigste: es ist angenehm warm. Da es leider aber auch ziemlich diesig ist, macht das Paragleiten, das sich Bettina in den Kopf gesetzt hat, nicht ganz so viel Sinn und wir beschließen, uns stattdessen Mountainbikes auszuborgen. Als der Mann vom Fahrradverleih unseren Routenplan hört, rät er uns dringend zu den besseren aber auch teureren Rädern. Im Nachhinein müssen wir sagen, dass wir dafür sehr dankbar sind. Und so strampeln wir auf unseren Qualitäts-Mountainbikes in der prallen Sonne den steilen Hügel hinauf bis zur Friedenspagode, nur um festzustellen, dass man auch von dort aus bei diesigem Wetter keine besonders gute Aussicht über die Stadt hat. Damit hätte man wirklich nicht rechnen können. Die Pagode ist trotzdem ganz interessant. Noch besser gefällt uns aber die Abfahrt. Der kleine Weg führt uns durch Wälder und Reisfelder. Unsere Räder und Hintern werden bei den herumliegenden Steinbrocken aufs Äußerste getestet. Aber hey, wir sind ja gewarnt worden. Vielleicht war es nicht die optimale Tour für Bettinas erste Mountainbikeausfahrt. Abgesehen von einer kleinen Schienbeinabnützung ist aber nix passiert und wir haben auch das mit dem Linksverkehr gut hinbekommen (sogar den Kreisverkehr).

Unsere weiteren Tage in Pokhara verbringen wir sehr entspannt, genießen das Wetter, essen viel und gut und planen unsere nächsten Reiseziele innerhalb Nepals. Wir buchen sogar schon einen Flug in unser nächstes Reiseland. Zwecks Spannungsaufbau verraten wir erst im nächsten Gschichtl wo es hingeht. Vermutlich wissen es eh schon alle. Für alle anderen: Pech gehabt. Wie gesagt, wir sind sehr entspannt und Bettina probiert eine ‚Good Morning‘ (Hatha) Yoga Einheit aus. Ergebnis: Totale Entspannung. Flo geht inzwischen einigen dringenden Erledigungen nach. Er kauft sich Adiletten. Und viel wichtiger: Er bekommt endlich eine Rasur, nachdem er seinen Rasierer in Kathmandu zurückgelassen hat und sich schon inmitten einer Metamorphose zum Alm-Öhi befindet. Beim dafür ausgewählten Barber eskaliert die Rasur ziemlich schnell. Plötzlich zückt der nämlich eine riesige, quietschende Schere und fuchtelt damit wild schnippelnd in Flos Gesicht herum. Doch das Ergebnis spricht für sich, der Bart ist wunderbar gestutzt und Flo hat seine originale Anzahl an Ohren (2) und Nasen (1) behalten.

Nach unseren Tagen in Pokhara geht es weiter zum Chitwan National Park. Es stellt sich heraus, dass wir auf unsere alten Tage durchaus noch lernfähig sind. Wir nehmen nämlich den Touristenbus statt des Lokalbusses. Als wir am Busbahnhof ankommen, ergattern wir die letzten zwei Plätze im Bus, ganz hinten bei den coolen Kids. Gebracht hat es genau gar nichts. Die Fahrt ist unbequem wie eh und je. Immerhin hat jeder einen eigenen Sitzplatz. Die Straßen sind bis jetzt die schlechtesten in Nepal. Aber was solls, nach unzähligen Stunden kommen wir dann doch am Ziel an. Hier wendet sich das Blatt. Wir werden unerwarteterweise von unserem Hotel vom Busbahnhof abgeholt. Mit Schild, wie im Film. Wir fühlen uns wie VIPs. Unser Hotel liegt direkt am Fluss, der die Grenze zum Nationalpark bildet und wir werden gleich mit einem Blick auf ein Krokodil für gutes Unterkunft-Buchen belohnt. Läuft bei uns. Beim Abendessen erfahren wir, dass ein anderer Gast an dem Tag von einem Nashorn attackiert wurde. Er ist ihm für ein gutes Foto zu nahe gekommen. Selber Schuld, kein Mitleid – aber es ist nichts passiert. Um den Nationalpark zu erkunden gibt es hier vier Möglichkeiten. Da wir Elefantenreiten grundsätzlich ablehnen und wir nicht durch den Jeeplärm alle Tiere verscheuchen wollen, entscheiden wir uns, am nächsten Tag eine Kanutour und eine Walking Safari zu machen. Während des Buchungsprozesses werden wir auch über den richtigen Dresscode aufgeklärt. Unser Plan, die hohen Wanderschuhe (gegen Schlangen etc.) anzuziehen wird gleich mal zunichte gemacht. Wanderschuhe sind viel zu laut, damit kann man nicht schleichen. Weiß man doch. Außerdem sollen wir dunkle, lange Kleidung tragen. Als wir glaubhaft machen können, dass wir adäquate Kleidung im Hotel haben, können wir die Buchung abschließen.

Am nächsten Tag schnüren wir unsere Ninjaschuhe und treffen uns mit unseren Guides Ramu und Anil. Ja es braucht anscheinend einen Aufpasser pro Tourist. Schon bevor wir ins Kanu steigen, sehen wir den ersten Gavial. Eine Krokodilart die es nur hier gibt und vom Aussterben bedroht ist. Die Kanufahrt ist wunderschön und mit dem aus dem Fluss aufsteigenden Nebel sehr mystisch. Wir sehen unter anderem Nashornvögel, blaue Eisvögel, Pfaue und viele andere Federtiere die wir nicht mehr benennen können. Eine Freude für jeden Hobbyornithologen. Danach beginnt unsere Walking Safari. Nachdem es im Nationalpark bengalische Tiger, Lippenbären und Königskobras gibt, sind wir ein bisschen nervös. Aber keine Angst, unsere zwei Guides sind mit je einem Bambusstock bewaffnet. Kaum haben wir den Nationalpark betreten sehen wir auch schon den ersten frischen Tigerpfotenabdruck im Sand. Daraus können unsere Guides Geschlecht, Alter und Sternzeichen des Tigers bestimmen. Wir bekommen auch eine Einführung in die Kackhaufenkunde. So können wir am Ende des Tages Elefanten-, Tiger-, Bären- und Nashornscheiße auseinanderhalten und sogar sagen was sie zum Abendessen hatten.

Dann ist es auch schon soweit, wir sehen unser erstes großes Tier. Wir kommen über den Dschungelpfad auf eine kleine Lichtung und stehen plötzlich keine 20 Meter neben einer grazilen Elefantendame. Wir sind super begeistert. Der Dame sind wir eher egal, aber wer lässt sich schon gerne beim Essen stören. Nach einiger Zeit des Beobachtens brechen wir wieder auf und schleichen weiter auf der Suche nach Tigern und Nashörnern durch den Dschungel. Unsere Guides sind super lieb und können alle unsere vielen Fragen über Tiere, Dschungel und den Sinn des Lebens beantworten. Allerdings wird auch einiges an Disziplin von uns eingefordert. Es wird grundsätzlich (wenn überhaupt) nur geflüstert und laute Geräusche sind ein No-Go. Immer wieder bleibt Anil während des durch den Dschungel-Schleichens plötzlich stehen um zu lauschen. In diesen Situationen ist absolute Mucksmäuschenstille gefordert. Kleinste Bewegungen, wie zum Beispiel die Gewichtsverlagerung von einem Bein auf das andere, die das minimalste aller Geräusche hervorrufen, werden mit einem mahnenden Blick quittiert. Touristen halt. Wenn die Lauschsituation ein bisschen länger dauert, müssen wir uns auf den Boden setzen. Weil wir Touristen so laut stehen. So unvermittelt wie das Lauschen beginnt, hört es meistens wieder auf und wir gehen ohne weiteren Kommentar weiter. Erst auf Nachfrage wird einem erklärt was hier vielleicht zu hören/sehen gewesen wäre. Insgesamt ist es eine wunderbare Tour durch den Dschungel, wir lernen viel, sehen einige Tiere und essen an einem wunderschönen Picknickplatz direkt am Fluss mit Blick auf Krokodile. Bettina wird zwischendurch von einem vorbeireitenden Elefanten gesegnet. Gesegnet im Sinne von der Elefant erkundet Bettinas Kopf mit seinem Rüssel. Frisch gesegnet hüpft uns ein wildes Huhn vor die Füße und wir haben das Gefühl, dass das das Tier ist, das unsere Guides am meisten begeistert (fünf ‚das‘ in acht Wörtern muss uns erst mal einer nachmachen). Gegen Ende unseres Tages kommt es uns so vor, als würden unsere Guides nochmal das Schleichtempo verschärfen, damit wir vielleicht doch noch ein Nashorn sehen können. Als wir denken, dass wir schon am Weg nach Hause sind (mag daran liegen dass es langsam dunkel wird), zückt Anil seinen Feldstecher und entdeckt etwas im hohen Gras ca. 200 m entfernt von uns. Plötzlich bricht Hektik aus. Es könnte ein Tiger sein wird uns mitgeteilt. Entgegen aller Instinkte finden wir uns im Schleich-Stechschritt auf dem Weg IN RICHTUNG der Stelle wo der Tiger sein könnte. Keine Ahnung warum wir den Verrückten überhaupt nachrennen. Bei der Stelle angekommen, türmt sich links und rechts des benutzten Trampelpfades Steppengras auf, höher als wir selbst. Und natürlich raschelt es aus allen Richtungen. Gruselig. Vielleicht ist es nur der Wind. Vielleicht auch nicht. Ob der Tiger Hunger hat? Wie bekämpft man mit bloßen Händen einen Tiger? Ist es eine Straftat einen Tiger zu bekämpfen? Zahlt sich weglaufen aus? Wenn ja, in welche Richung? Fragen über Fragen. Als wir jeden Moment mit einem Angriff rechnen, hören wir ein noch lauteres Rascheln nicht weit von uns, gefolgt von einem enttäuschten Seufzen unseres Guides. War nur ein Wildschwein. Uns fällt ein großer Stein vom Herzen. Alles gut. So dringend müssen wir den Tiger auch wieder nicht sehen. Erleichtert können wir so die letzten Sonnenstrahlen (die einen der schönsten Sonnenuntergänge ergeben) genießen, als wir uns jetzt wirklich auf den Weg zurück machen. Somit bleibt ein wunderschöner Tag und eine tolle Erfahrung. Nachdem der Tigerangriff ausgeblieben ist, war die gefährlichste Situation ein Blutegelangriff auf Flo. Er hat überlebt. Also Flo. Der Zustand des Egels ist nicht überliefert. Wir würden den Jungle Walk sofort wieder machen und unsere Guides dringend weiterempfehlen.

Der nächste Tag ist für uns sozusagen ein Bonustag in Chitwan. Eigentlich wollten wir schon weiterreisen. Allerdings ist heute der große Wahlsonntag in Nepal und das gesamte, wir wiederholen: das GESAMTE, Land steht still. Die Geschäfte sind geschlossen, die Grenzen sind dicht und der öffentliche Verkehr ist abgesagt. Alles damit die Leute in Ruhe wählen können. Wie und ob alle ohne Öffis zum Wahllokal kommen bleibt unbeantwortet. Am Vorabend der Wahl wurden sogar um 20:00 alle Lokale und Restaurants von Sicherheitskräften geschlossen. Wir hatten Glück schon um 19:00 essen gewesen zu sein. Sicherheitshalber ist am Wahltag auch der Nationalpark geschlossen. Den Tieren wird ein Tag ohne Jeeps und Touristen sicher nicht schaden. Also spazieren wir ein bisschen durch die Gegend und genießen den Blick auf den Fluss von unserem Hotel. Der sehr nette und vielleicht ein bisschen übermotivierte Kellner unseres Hotels versorgt uns einerseits mit interessanten Infos (so soll ein Nashorn immer in der Nähe des Hotels schlafen und in der Früh gut zu beobachten sein) und belustigt uns andererseits mit einer schier unendlichen Anzahl an ‚Please‘ und ‚Thank you‘ in seinen Sätzen. Auch auf drei ‚Thank you‘ für ein serviertes Getränk von unserer Seite hatte er mit Sicherheit noch ein viertes ‚Please‘ im Köcher, um ja das letzte (freundliche) Wort zu haben.

Siehe da, der liebe Kellner hatte Recht und in der Früh können wir tatsächlich noch ein Nashorn aus nächster Nähe beobachten, bevor die übliche Busto(rt)ur ansteht. Es geht zurück nach Kathmandu. Über die Fahrt möchten wir an dieser Stelle keine weiteren Gedanken verschwenden. Zurück in Kathmandu und mit ein bisschen mehr Zeit und Nerven freunden wir uns mit der chaotischen Stadt an. Wir finden ein paar nette Plätze zum Teetrinken und Entspannen. Außerdem schauen wir uns noch einen Tempel an. Den Monkey Tempel. Ja, es gibt dort Affen. Furchtlose Affen. Flo wird von einem attackiert, kann ihn aber mit einem gekonnten Kampfschrei in die Flucht schlagen. Eigentlich ist es eher ein Quieken. Ein sehr männliches natürlich. Ähnlich dem Geräusch das Patrick zur Wespenabwehr einsetzt. Der Tempel ist schön gelegen, die Aussicht leider durch Kathmandus Smog getrübt. Beim Spazieren durch die Stadt wird einem alles Mögliche angedreht. Bettina werden meistens Rikschafahrten angeboten, Flo eher bewusstseinserweiternde Substanzen. Oft von den gleichen Verkäufern. Wir wissen auch nicht warum. Kathmandu hat auch kulinarisch einiges zu bieten. Trotz all der hübschen Restaurants gibt es das beste Essen oft in dunklen, ungemütlichen Gassen ohne Touristen. Günstig ist es auch, einen Blick in die Küche wollen wir aber lieber nicht riskieren. Macht nix, wir sind eh gegen alles geimpft. Auf die Etikette wird trotzdem Wert gelegt. Salz bekommt man nur, wenn man vorher unter dem prüfenden Blick des Kellners gekostet hat.

Nach ein paar letzten organisatorischen Erledigungen machen wir uns schließlich auf den Weg ins nächste Land. Nepal, wir werden ich vermissen. Du warst ein perfekter Auftakt für unsere Reise.

Fazit: Wenn Inder dich um ein Foto bitten wollen sie nicht, dass du ein Foto von ihnen machst, sondern eines mit dir. Wildschweine hören sich wie Tiger an. Schnelles Schleichen ist nicht so einfach. Mit Affen ist nicht zu spaßen. Wer keinen Wert aufs Ambiente legt bekommt das beste Essen.